Wenn ich überlege, worauf ich bei Begegnungen zuerst reagiere, dann ist es die Stimme.
Ich reagiere total auf Stimmen. Auf ihren Klang und auf das, was in ihnen schwingt. Dem Menschen, der eine angenehme, wohltönende Stimme hat, verfalle ich sozusagen sofort, und diesen Stimmbonus kann er kaum je verspielen.
In diesen Zeiten, die von der Angst vor Infektion mit dem Corona-Virus bestimmt ist und allen verordnet, auf Distanz zueinander zu gehen, wird mein Hören auf die Probe gestellt. Etwas, was mir in hohem Maße dazu hilft, mich selbst zu spüren, wird mir entzogen, verweigert: die konkrete, persönliche Begegnung mit anderen!
Ich muss online gehen.
Mein Kontakt zu Menschen geschieht nun vorwiegend indirekt, über das Telefon, über Facetime oder Skype, Zoom, Webex…
Per Telefon geht es ja noch. Das ist vertraut und Stimmen berühren mich. Aber übers Internet?
Was ich da höre, schafft im besten Fall wenig und sehr oft ziemlich viel Unbehagen. Ist die Verbindung schlecht, kratzt und rauscht es. Seltsam blechern und hohl klingt es meist auch bei guter Verbindung. Ein Lautsprecher hilft … Aber dennoch, diesem indirekten menschlichen Klang verfalle ich nur schwer, wenn überhaupt… Mir als Normalmensch fehlt die technische Ausstattung z.B. eines Radiosenders und den Menschen, die ich online treffe, geht es ähnlich.
Dass ich dennoch mit Stimmen, mit Gesang und dem Hören arbeiten sollte, hat mich erst mal stocken lassen: als erstes habe ich die Grenzen gesehen, dann fühlte ich mich herausgefordert und schließlich – ja, da war und bin ich sehr positiv überrascht!
Die Grenzen liegen, wie schon gesagt, auf der Hand: ich habe keinen unmittelbaren Kontakt. Die Sprechstimme und erst recht die Gesangsstimme klingt ganz anders als sonst. Sie ist, je nach Qualität der Internetverbindung, manchmal auch verzerrt, und meistens sind seltsame Nebengeräusche mit dabei. Das Seltsamste, auch wenn es natürlich klar ist: ich spüre keine körperliche Anwesenheit des anderen. Es ist immer wieder überraschend: ich sehe mein Gegenüber, und wenn ich mich umschaue, bin ich allein! Das ist so banal wie verwirrend. Und läßt mich erkennen, wie belebend, ja, Leben spendend es ist, einem anderen konkret gegenüber zu sein.
Die Herausforderung, mit den digitalen Medien zu arbeiten, das merke ich schnell, besteht darin, neu hören zu lernen. Auch dort, hinter den Verzerrungen, in den Klängen noch etwas zu erlauschen, etwas wahrzunehmen, was mich auf die Spur eines lebendigen Wesens aus Fleisch und Blut bringt; auf die Spur dessen, worum es eigentlich geht. In meinem Beruf: die Gesangsstimme des Menschen so gut es geht zu fördern, der mich aus dem Bildschirm meines Laptops heraus anschaut.
Ich versuche mich also darin, online Gesangsunterricht zu geben.
Als ich meine Studierenden in Salzburg zum ersten Mal online unterrichtete, war ich fix und fertig, konzentrationsmäßig und auch, was die Qualität des Arbeitens anging. Ich war komplett erschöpft. Diese Herausforderung habe ich als sehr extrem empfunden.
Und dann wurde ich neugierig.
Denn auch beim ersten Mal habe ich zwischendurch gemerkt, dass das Hören und Begegnen durchaus gelingen kann. In den Wochen, die dann folgten, habe ich sowohl mein Hören anders einstellen können, als auch die visuelle Wahrnehmung. Das, worauf ich eingehe beim Unterrichten, ereignet sich noch viel mehr im Verborgenen als sonst, ist eher ein Vorbeiwehen, als eine Ahnung im Verzerrten hörbar, das ich mit meinen Ohren, meiner inneren Aufmerksamkeit einfange, um darauf einzugehen.
Und dann ereignet sich der beglückende Moment: bei aller Einschränkung ist völlig unverkennbar, wenn auf einmal der Klang lebendig wird! Wenn auf einmal Musik ertönt! Wenn auf einmal aus den immer wieder neuen Versuchen heraus etwas gelingt, was stärker ist als Rauschen und nacktes, kahles Geräusch. Das ist lebendiger Klang, und ich bin von der Stimme und der Musik berührt. Dann hat er mich wieder eingefangen, der lebendige Wohlklang, und ich spüre mich selbst. Wie ich dann vernehme, geht es dem anderen auch so.
Musik und im besonderen eine lebendige Stimme überschreitet auf noch ganz andere Weise Grenzen, als ich es bisher gewohnt war. Sie durchdringt jedes Medium, sogar wenn es so unzulänglich ist, wie eine ganz normale Internetverbindung!